Lockdown, Soziologie und Cannabiskekse

2020-12-20

Der Oberbürgermeister möchte die Kontrolle über das Corona-Virus gewinnen, lässt eine entscheidende Überlegung aber außer Acht. Ein Stipendium der Stadt, benannt nach Manfred Rommel, kommt einer jungen Soziologin mit besonderen Ideen zugute. Und die AfD-Fraktion im Gemeinderat wird mit Cannabiskeksen beschenkt.

Unser Oberbürgermeister unterstützt den Lockdown voll und ganz, hat er gesagt. Man müsse „wieder in einen Bereich kommen, in dem die Gesundheitsämter die Neuinfektionen nachvollziehen und die Infektionsketten lückenlos nachverfolgen können“. Das Problem ist nur, dass die Gesundheitsämter noch nie in der Lage waren, die Infektionsketten lückenlos nachzuverfolgen. Wie soll das auch gehen, wenn 40 Prozent der Corona-Infizierten keine spürbaren Symptome haben, und auf Jeden, der beim Amt gemeldet wird, weitere 5 bis 10 kommen, die als Dunkelziffer unerkannt bleiben. Da verfolgt sich nix. Da hilft auch keine Maskenpflicht in der Fußgängerzone. Wenn überhaupt die reale Gefahr besteht, auf der Straße von einem virushaltigen Aerosol umwabert zu werden – was ziemlich unwahrscheinlich ist – dann nützt so eine Mund-Nase-Bedeckung rein gar nichts. Aber wie gesagt: Solche Aerosole spielen im Freien ohnehin keine Rolle.

Währenddessen schreibt die Stadt tiefrote Zahlen in ihren Haushalt. Den Beschluss eines Nachtragshaushalts hat der Gemeinderat schon zweimal vertagt, dieses Mal in den Februar nächsten Jahres. Angeblich, weil man wegen Corona keine richtige Sitzung abhalten konnte. Vielleicht auch, weil man dann den neuen OB Frank Nopper gleich dabei haben möchte. Vielleicht aber auch, weil man sich vor den finanziellen Verheerungen des Lockdowns fürchtet, die dann zu Tage treten werden. Aber um den harten Lockdown kämen wir nicht drum herum, sagt Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Er sagt auch: „Machen Sie nicht nur das, was noch erlaubt ist, sondern gehen Sie noch darüber hinaus.“ Wie meint er das? Über das Erlaubte hinausgehen? Meldet sich da im Freud’schen Sinne der ehemalige Revoluzzer im grünen OB?

Manfred Rommel, der berühmte Vor-Vorgänger von Fritz Kuhn im Amt, soll mal gesagt haben, es gebe Politiker, die das, was sie sagen, glauben. Und es gebe solche, die das, was sie sagen, nicht glauben. Vor allem Erstere seien gefährlich. Nach Manfred Rommel hat die Stadt Stuttgart ein Stipendium benannt, das jetzt zum zweiten Mal vergeben wurde, und zwar an die junge Soziologin Janina Leonie Selzer. Sie will erforschen, „wie nichtmuslimische irakische Geflüchtete Zugehörigkeitsgefühle in strukturschwachen Städten in Deutschland und den USA entwickeln“. Das ist ihr Promotionsthema an der City University of New York.

Frau Selzer hat sich auch schon mal soziologisch mit der sexuellen Gewalt durch hauptsächlich nordafrikanische Asylsuchende während der Kölner Silvesternacht 2015 beschäftigt. Sie stellte damals die Frage, wie es denn in der Folge dieser Ereignisse zu einer merkwürdigen Allianz zwischen der Neuen Rechten und konservativen Feministinnen gekommen sein könnte. Das sei doch eigentlich paradox. Und kommt zu der Schlussfolgerung, „auf theoretischer Ebene wiesen die Ergebnisse auf die ausgeprägte räumliche Logik in Anti-Geflüchteten-Narrativen hin“. Da darf man gespannt sein, welche Antworten die Doktorarbeit dann mal auf drängende Fragen aus Stuttgart liefern wird. Die Jury hofft vor allem auf die emotionale Ebene.

Ganz gefühlvoll weihnachtlich zeigt sich auch der Cannabis Social Club Stuttgart e. V. Der hat unserer Gemeinderatsfraktion nämlich zum Advent ein ganzes Bonbonglas voll mit hanfblattförmigen Weihnachtsgutsle geschenkt, jedes einzelne sorgfältig verpackt und mit Logo versehen. Jetzt stehen wir vor der Frage, ob wir die essen dürfen. Oder wir fragen den Apotheker von der FDP-Fraktion, ob er vielleicht mal den THC-Gehalt bestimmen könnte. Oder wir knabbern ein, zwei Stück vor der nächsten Gemeinderatssitzung und testen, wie lustig wir danach unseren Oberbürgermeister finden.

Titelbild: Mathieu Bertola / Musees de la Ville de Strasbourg; Creative Commons
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